Neben einer Definition der Mehrdeutigkeit ist auch ein Mehrdeutigkeitskriterium unbedingt erforderlich, da man nicht nur wissen möchte, was Mehrdeutigkeit im Allgemeinen ist, man möchte auch wissen, ob konkrete Ausdrücke, also etwa Wörter und Sätze (Items), mehrdeutig sind oder nicht. Die Intuitionen kompetenter Sprecher sind dabei zwar ein wichtiges Indiz, aber für sich allein genommen nicht aussagekräftig genug, um Mehrdeutigkeit definitiv von Vagheit, Unbestimmtheit und anderen ähnlichen Phänomenen zu unterscheiden. Unsere sprachlichen Intuitionen erweisen sich in vielen Fällen als zutreffend, doch aufgrund der großen Anzahl an nicht-paradigmatischen Fällen von Mehrdeutigkeit wäre es wünschenswert, wenn wir ein Kriterium zur Verfügung hätten, welches im besten Fall (a) universal einsetzbar, (b) konkludent und (c) formal ist, das heißt an dieser Stelle: ein Algorithmus, bei dessen Anwendung die sprachlichen Intuitionen des Testers wenig oder keine Rolle spielen. In der Literatur findet man auch eine ganze Reihe an Mehrdeutigkeitstests, angefangen bei allgemeinen Tests für Mehrdeutigkeit auf der Grundlage von syntaktischen, semantischen oder pragmatischen Eigenschaften von Wörtern und Sätzen bis hin zu speziellen Tests, etwa für bestimmte Beschreibungen. Was es bisher nicht gibt, ist ein universeller Mehrdeutigkeitstest, also ein Test, den man auf alle Arten der Mehrdeutigkeit anwenden könnte; mir ist weder ein Test für mehrdeutige Situationen noch für mehrdeutige literarische Werke bekannt. Die üblicherweise verwendeten Tests liefen kein zuverlässiges Ergebnis und was die Unabhängigkeit von Intuitionen betrifft, so gibt es zwar Tests, die dieses Desiderat erfüllen, wie der Übersetzungstest, jedoch sind gerade die am meisten verwendeten Mehrdeutigkeitstests nicht gänzlich intuitionsunabhängig.
Vergleicht man die Resultate der einzelnen Mehrdeutigkeitstests untereinander, so fällt auf, dass diese bei unproblematischen Fällen zu einem übereinstimmenden Ergebnis kommen, welches auch gut zu den sprachlichen Intuitionen kompetenter Sprecher passt. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die Richtschnur bei der Entwicklung der Mehrdeutigkeitstests waren schließlich paradigmatische Fälle. Bei kontroversen Fällen, also wenn intuitive Klarheit fehlt, unterscheiden sich die Ergebnisse verschiedener Tests desselben Items, zudem kann es vorkommen, dass das Ergebnis auch in Abhängigkeit vom Tester variiert, da eben dessen sprachliche Intuitionen in das Ergebnis miteinfließen.
Im Folgenden werde ich einige geläufige Mehrdeutigkeitstests sowie ihre Stärken und Schwächen darstellen. Im Einzelnen sind dies zunächst ein aristotelischer Mehrdeutigkeitstest mit Variationen, dann der Übersetzungstest, der Conjunktion Reduction Test, der Test auf unterschiedliche semantische Strukturen, der Widerspruchstest, der Substitutionstest, der Test des besonderen Verständnisses, der Reichweitenunterscheidungstest sowie Kripkes Mehrdeutigkeitstest für bestimmte Beschreibungen.
Aristotelische Mehrdeutigkeitstests
Aristoteles formuliert im 15. Kapitel der Topik mehrere Mehrdeutigkeitstests, wobei jeder der Tests einen sehr spezifischen und begrenzten Anwendungsbereich hat; genau genommen formuliert Aristoteles also Mehrdeutigkeitsindikatoren, keine konkludenten Tests. Einer der einfachsten aristotelischen Tests überprüft etwa, ob es zu einem Item ein oder mehrere Antonyme gibt, man könnte ihn also Antonym-Test nennen.
Erstens muß man bei seinem Gegenteil zusehen, ob man verschieden davon redet, mag es nun eine Verschiedenheit im Begriff, d. h. in der Bedeutung, oder im Wort sein. Vieles ist auch schon dem Worte nach verschieden, so ist dem Scharfen (Hohen, Spitzen) in der Stimme das Schwere (Tiefe), in der Raumgröße das Stumpfe entgegengesetzt. Demnach ist klar, daß man vom Gegenteil von Scharf mehrfach redet. Wenn aber das, dann auch von scharf (selbst). Denn das Gegenteil wird für jedes dieser beiden verschieden sein. Denn es ist nicht dasselbe Scharfe das Gegenteil von stumpf und von schwer, von beiden aber ist scharf das Gegenteil. (Aristoteles 1995, 1. Buch, 15. Kapitel, 106a).
Nach dem Antonym-Test wäre beispielsweise das Item „alt“ mehrdeutig, da es sowohl in der Bedeutung „nicht jung“ als auch in der Bedeutung „nicht neu“ gebraucht wird. Es ist klar, dass der Antonym-Test nur bei Items angewandt werden kann, zu denen es grundsätzlich ein Antonym geben kann. Bei Items mit zwei Gegenteilen liefert der Test ein zuverlässiges Ergebnis, bedauerlicherweise funktioniert dieser Test nur bei Items, die zwei Gegenteile haben. Denn was wäre wohl das Gegenteil von „Bank“ oder von „Ich sehe den Mann mit dem Fernglas“? Der Anwendungsbereich dieses Tests kann auf andere Wörter erweitert werden, wie etwa auf „stumpf“. Für das Gegenteil von „stumpf“ wird man kein unterschiedliches Wort finden, jedoch eine unterschiedliche Bedeutung, also das, was Aristoteles eine Verschiedenheit im Begriff nennt. Ein Indiz für unterschiedliche Bedeutungen sieht Aristoteles hier in der Tatsache, dass man eine scharfe Speise mit dem Geschmackssinn wahrnimmt, ein scharfes bzw. stumpfes Messer mit dem Tastsinn.* Wenn man demnach eine vermeintliche Eigenschaft, die man von unterschiedlichen Dingen prädiziert, mit verschiedenen Sinnen wahrnimmt, so wäre auch dies ein Hinweis auf die Mehrdeutigkeit des diese Eigenschaft bezeichnenden Wortes: einen süßen Hund und einen süßen Apfel nimmt man in der Regel mit verschiedenen Sinnen wahr, womit „süß“ mehrdeutig wäre. Allgemeiner führt Aristoteles dann aus, dass ein Wort auch dann mehrdeutig sein kann, wenn es sich auf verschiedene Kategorien bezieht, womit er schließlich zur systematischen Mehrdeutigkeit kommt.
Übersetzungstest
Manchmal hat sich eine Mehrdeutigkeit aus dem metaphorischen Gebrauch eines bestimmten Wortes heraus entwickelt. So bezeichnet man im Deutschen den verkleideten Teil der Fensteröffnung als Fensterbank, da auf ihr das Fenster ruht und sie früher, als die Gebäude noch dickere Wände hatten, tatsächlich als Sitzgelegenheit diente, um dort das Tageslicht zu nutzen; damit ist auch die Mehrdeutigkeit von „Bank“ eine Facette reicher. Im Englischen war es bei der Namensgebung dieses Bauteils offenbar wichtiger, auf seine Funktion als Übergang hinzuweisen, weshalb man es als window-sill bezeichnet, was man wörtlich etwa als Fensterschwelle übersetzen könnte. Im Fall der Homonymie ist die Mehrdeutigkeit überhaupt zufällig entstanden und man wird vermutlich keine Erklärung dafür finden, warum man sowohl ein starkes Seil als auch die kondensierte Luftfeuchtigkeit am Morgen als Tau bezeichnet; jedenfalls sollte man nicht erwarten, dass sich dieser Zufall in anderen Sprachen genau gleich zugetragen hat. Es ist daher nicht unvernünftig anzunehmen, dass mit der Übersetzung eines (schwach) metaphorisch oder homonym mehrdeutigen Items in eine andere Sprache eine Desambiguierung einhergeht; dies funktioniert nur bei „Tau“ und einigen Bedeutungen von „Bank“. Kripke weist auf diese Möglichkeit der Erkennung von Mehrdeutigkeit im Zusammenhang mit dem englischen Wort „know“ hin, welches im Deutschen als „wissen“ und „kennen“ oder im Französischen als „savoir“ und „connaître“ übersetzt werden kann. Hingegen gibt es vermutlich keine Sprache, in welcher für Hintikkas schwachen und starken Wissensbegriff zwei verschiedene Ausdrücke vorhanden sind.
Die Tatsache der unterschiedlichen Entwicklung verschiedener natürlicher Sprachen macht sich der sogenannte Übersetzungstest zu Nutze, um Mehrdeutigkeit von Vagheit und Unbestimmtheit zu unterscheiden. Das englische Wort „school“ ist mehrdeutig zwischen den Bedeutungen „place of education“ und „company of fish“. Im Deutschen gibt es für „school“ zwei verschiedene Übersetzungen, nämlich „Schule“ und „Schwarm“, was ein Indiz dafür wäre, dass das englische Wort „school“ mehrdeutig ist. Übersetzt man hingegen das vage Item „kühl“ ins Englische, so wird man die beiden ungefähr gleichbedeutenden Übersetzungen „cool“ und „chilly“ finden; der Test ergibt keine Mehrdeutigkeit.
Der Übersetzungstest funktioniert nicht in allen Fällen, denn auf der Grundlage seiner Anwendung könnte man behaupten, dass das deutsche Wort „Tante“ mehrdeutig zwischen den Bedeutungen „Schwester des Vaters“ und „Schwester der Mutter“ ist; etwa bei einer Übersetzung ins Lateinische stehen die beiden Wörter „matertera“ (väterlicherseits) und „amita“ (mütterlicherseits) für „Tante“ zur Verfügung. Demnach müsste das deutsche Wort „Tante“ mehrdeutig sein; und nicht vage oder unbestimmt. Man könnte annehmen, dass „Tante“ im Laufe der Zeit beide Bedeutungen – Schwester des Vaters, Schwester der Mutter – erhalten hat und mehrdeutig geworden ist. Diese Konklusion zu akzeptieren ist meiner Ansicht nach voreilig, denn der Übersetzungstest hat sich nicht als derart zuverlässig erwiesen.
Meine Intuition ist, dass „Tante“ nicht mehrdeutig ist, obwohl es im Lateinischen zwei Übersetzungen gibt und es im Deutschen bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts zwei Bezeichnungen gab, nämlich „Tante“ und „Muhme“. Die bessere Erklärung scheint mir zu sein, dass sich etwas in unserer sozialen Wirklichkeit verändert hat. Für einen typischen Sprecher des Lateinischen war es ein Unterschied, ob er von der Schwester seines Vaters oder der Schwester seiner Mutter sprach, sie erfüllten unterschiedliche soziale Funktionen. Für einen typischen deutschsprachigen Sprecher des 21. Jahrhunderts spielt es kaum eine Rolle, ob seine Tante die Schwester seiner Mutter oder die Schwester seines Vaters ist; die Gesellschaft hat sich insofern verändert. Dieser Unterschied war im Lateinischen wichtig und er war auch im Deutschen des 18. Jahrhunderts wichtig, in der Gesellschaft hat er aber bis heute an Bedeutung verloren, weshalb er sich nicht mehr in der Sprache widerspiegelt.
Der Übersetzungstest ist kein besonders gutes Mehrdeutigkeitskriterium. Einerseits erkennt er weder systematische Mehrdeutigkeiten, die über Sprachgrenzen hinweg bestehen, noch erkennt er Mehrdeutigkeiten, die sich in zwei Sprachen zufällig gleich herausgebildet haben. Andererseits versagt der Test bei Items wie Tante, die er irrtümlich als mehrdeutig ausweist. Eine weitere Crux ist, dass der Test je nach verwendetem Sprachpaar unterschiedliche Ergebnisse hat. Wenn man beispielsweise festgestellt hat, dass Tante nach dem Übersetzungstest in den Sprachpaaren Deutsch/Englisch und Deutsch/Spanisch nicht mehrdeutig ist, kann man die Suche nicht beenden, denn es könnte weitere Sprachpaare geben – bei vorliegenden Item etwa Deutsch/Latein und Deutsch/Türkisch – bei denen das Pendel sehr wohl zugunsten der Mehrdeutigkeit ausschlägt.
Conjunction Reduction Test
Der heute standardmäßig verwendete Conjunction Reduction Test geht auf eine Passage in Gilbert Ryles Der Begriff des Geistes zurück, wobei Ryle an dieser Stelle gar keinen Mehrdeutigkeitstest formulieren, sondern nur den Ursprung des cartesianischen Kategorienfehlers der Dualität von Körper und Geist aufzeigen wollte.
It is perfectly proper to say, in one logical tone of voice, that there exist minds, and to say, in another logical tone of voice, that there exist bodies. But these expressions do not indicate two different species of existence, for “existence” is not a generic word like “coloured” or “sexed”. They indicate two different senses of “exist”, somewhat as “rising” has different senses in “the tide is rising”, “hopes are rising”, and “the average age of death is rising”. A man would be thought to be making a poor joke who said that three things are now rising, namely the tide, hopes and the average age of death. It would be just as good or bad a joke to say that there exist prime numbers and Wednesdays and public opinions and navies; or that there exist both minds and bodies. (Ryle, 1963, S. 23 f. Erste Auflage 1949.)
Ryle ist der Meinung, dass „existieren“ in „Körper existieren“ und „Bewusstsein existiert“ nicht in derselben Bedeutung gebraucht wird. Ebenso wie der Ausdruck „steigen“, wie dieser in “die Flut steigt”, „Hoffnungen steigen“ und „das durchschnittliche Todesalter steigt“ vorkommt, würde man dies aber in einem Satz wie „die Flut, Hoffnungen und das durchschnittliche Todesalter steigen“ ausdrücken, so kann es sich nur um einen schlechten Witz handeln. Dies deshalb, weil „steigen“ mehrdeutig ist und in jeder der drei Verbindungen in einer anderen Bedeutung vorkommt. Der Ausdruck „steigen“ ist ebenso mehrdeutig wie – nach Ryles Auffassung – der Ausdruck „existieren“. Pointiert könnte man sagen, dass das Prinzip dieses Mehrdeutigkeitstests das Auffinden von schlechten Witzen ist.
Für den Conjunction Reduction Test verbindet man zwei Sätze bzw. Satzteile zu einem einzigen Satz, wobei der mutmaßlich mehrdeutige Terminus in den ursprünglichen Sätzen in jeweils einer Bedeutung vorkommt aber im reduzierten Satz nur mehr einmal verwendet wird. Wenn das Ergebnis merkwürdig oder komisch klingt, ist das ein Indiz dafür, dass das getestete Item mehrdeutig ist.
(1) Der Stuhl war hart.
(2) Das Urteil war hart.
(3) Der Stuhl und das Urteil waren hart.
Im Paragraphen über Mehrdeutigkeit in Wort und Gegenstand wendet Quine genau diesen Mehrdeutigkeitstest an. Quine verbindet die Sätze (1) und (2) und reduziert sie zum Satz (3). Der reduzierte Satz (3) klingt merkwürdig bzw. mit Quines Worten: er hat „etwas Sylleptisches“ an sich. Der Grund dafür ist, dass man durch die Reduktion des Satzes zwei Bedeutungen in das Wort „hart“ hineinlegt, was zu einer gewissen Spannung führt. Diese Spannung ist ein Anzeichen für die Mehrdeutigkeit des getesteten Wortes. Auch in den Sätzen (4), (5) und (6) kann man diese Spannung wahrnehmen.
(4) The colours and the feathers are light.
(5) Die Zahl 42, die Vereinten Nationen und tibetanische Bergziegen existieren.
(6) Julia declined a cocktail and an irregular verb.
Nach dem Conjunction Reduction Test zu urteilen, wären alle drei getesteten Items der Sätze (4) bis (6) – „light“, „existieren“ und „declined“ – mehrdeutig. Begriffsanalytisch kann man dazu sagen, dass in Satz (4) das Adjektiv „light“ vorkommt, das in Bezug auf Farben tatsächlich eine andere Bedeutung zu haben scheint als in Bezug auf Federn. Bei einer Übersetzung ins Deutsche würde man zudem von hellen Farben und leichten Federn sprechen, es liegt hier tatsächlich eine Mehrdeutigkeit der englischen Sprache vor. Bei „light“ funktioniert also der Mehrdeutigkeitstest. Satz (5) ist schwieriger, für Ryle war es gerade so ein Satz, der intuitiv zu belegen schien, dass „existieren“ mehrdeutig ist. Eine Unterscheidung von Seinsweisen ist allerdings nicht unumstritten und da es überzeugende Argumente gegen eine solche Unterscheidung gibt, kann der Satz (5) genauso als Gegenbeispiel gegen den Conjunction Reduction Test gewertet werden. Wenn „existieren“ mehrdeutig sein sollte, ist es kein paradigmatisches Item; eines endgültigen Urteils sollte man sich an dieser Stelle enthalten.
Satz (6) ist das Resultat der Reduktion der beiden Sätze „Julia declined a cocktail“ und „Julia declined an irregular verb“, das Verb „decline“ scheint im Englischen tatsächlich mehrdeutig zu sein, was auch ein Blick auf die deutsche Übersetzung bestätigt, es ist etwas Anderes einen Cocktail abzulehnen als ein irreguläres Verb zu deklinieren. Satz (6) ist aber andererseits ein schönes Beispiel dafür, dass der Conjuntion Reduction Test nicht-mehrdeutige Items als mehrdeutig klassifiziert, wie es auch im Fall von „existieren“ sein könnte. Denn was Satz (6) betrifft, so ist durchaus vorstellbar, dass Julia an einem Essay über unregelmäßige Verben arbeitet und auf der Suche nach passenden Beispielen für solche Verben ist. Julius schlägt ihr einige unregelmäßige Verben vor, beispielsweise „know“, „mean“ oder „think“, die sie jedoch alle ablehnt, da sie ihr nicht gefallen. Schließlich bietet Julius Julia einen White Russian an, den sie ebenfalls zurückweist. Hernach könnte jemand Satz (6) äußern, wobei „decline“ in diesem Fall nicht mehrdeutig wäre, schließlich hat Julia sowohl einen Cocktail als auch ein irreguläres Verb abgelehnt. Es scheint mir nach wie vor unbestreitbar zu sein, dass Satz (6) merkwürdig klingt, und zwar auch dann, wenn „decline“ zweimal in der Bedeutung „zurückweisen“ gebraucht wird. Satz (6) wäre also nach dem Conjunction Reduction Test mehrdeutig. Das ist ein falsches Ergebnis des Tests, ich glaube, dass „decline“ in der zweiten hier beschriebenen Situation nicht mehrdeutig ist, da ich keinen Bedeutungsunterschied zwischen dem Zurückweisen eines angebotenen Cocktails und dem Zurückweisen eines angebotenen unregelmäßigen Verbs erkennen kann; ein Unterschied besteht nur im Gegenstand, Verben und Cocktails befinden sich schließlich in verschiedenen ontologischen Kategorien.
Für den Conjunction Reduction Test sind auch Items problematisch, in denen eine Konjunktion vorkommt, die nicht zwei unabhängige Sätze (engl. sentence conjunction), sondern zwei Satzteile (engl. phrasal conjunction) miteinander verbindet. Typischerweise kommen in diesen Items Verben vor, die sich auf Tätigkeiten oder Zustände beziehen, die man entweder allein oder zu zweit tun bzw. in denen man allein oder zu zweit sein kann.
(7) Anna und Bruno sind verheiratet.
(8) Anna und Bruno sind fortgegangen.
Satz (7) hat offensichtlich zwei Interpretationen, eine Interpretation in der Anna und Bruno miteinander verheiratet sind und eine andere Interpretation in der Anna und Bruno verheiratet sind, aber mit jeweils anderen Personen. Satz (8) ist ähnlich, entweder sind Anna und Bruno gemeinsam fortgegangen oder jeder für sich. Zwicky und Sadock wenden den Conjunction Reduction Test an und behaupten danach, dass beide Sätze unbestimmt sind. Nach David Dowty ist der Satz (7) mehrdeutig und der Satz (8) unbestimmt, zu diesem Ergebnis kommt er ebenfalls aufgrund des Conjunction Reduction Tests. Das Ergebnis des Tests hängt eben zum Teil davon ab, welche reduzierten Sätze man als nicht grammatikalisch oder logisch korrekt ansieht. Lakoff und Peters kommen nach einer Analyse der grammatikalischen Struktur beider Sätze zum Ergebnis, dass sowohl Satz (7) als auch Satz (8) mehrdeutig ist. Da diese beiden Sätze ein Beispiel dafür sind, dass man selbst bei der Anwendung desselben Mehrdeutigkeitstests zu abweichenden Ergebnissen kommen kann, lohnt sich eine nähere Untersuchung. Ich bin übrigens wie Lakoff und Peters der Meinung, dass die beiden Sätze (7) und (8) mehrdeutig sind, obwohl (9) und (10) meinem Sprachverständnis nach nicht merkwürdig oder gar falsch klingen.
(9) Anna und Bruno sind verheiratet und Bertha und Caesar ebenfalls.
(10) Anna und Bruno sind fortgegangen und Bertha und Caesar ebenfalls.
Das Szenario für den Conjunction Reduction Test ist so gestaltet, dass Anna und Bruno miteinander verheiratet bzw. fortgegangen sind und Bertha und Caesar mit David und Eva verheiratet sind bzw. alleine fortgegangen sind. Zwicky und Sadock haben weder mit Satz (9) noch mit Satz (10) ein sprachliches Problem, es gibt ihrer Ansicht nach nichts Merkwürdiges an diesen Sätzen. Als weiteren Beleg für die sprachliche Korrektheit von (9) weisen Zwicky und Sadock auf die analytische Wahrheit „Jeder der verheiratet ist, ist mit jemandem verheiratet“ hin, wobei dieser Satz belegen soll, dass eine Reduktion möglich ist und absolut normal klingt. Folgt man dieser Argumentation, wäre der Satz (7) nicht mehrdeutig, und da die Sätze (7) und (8) dieselbe Struktur haben, wäre auch (8) nicht mehrdeutig. Atlas weist richtigerweise darauf hin, dass die analytische Wahrheit kein reduzierter Satz ist, denn das Item kommt zweimal vor und das erste Vorkommnis von „verheiratet“ hat eine andere Bedeutung als das zweite Vorkommnis.
Welche beiden Bedeutungen von „verheiratet“ sind dies? Von einem logischen Standpunkt aus betrachtet kann man „verheiratet“ entweder als einstelliges Prädikat „V1x“ (lies: „x ist verheiratet“) oder als zweistelliges Prädikat „V2xy“ (lies: „x ist mit y verheiratet“) interpretieren, „verheiratet“ ist logisch unbestimmt. Ein Satz wie „Anna ist verheiratet“ kann in einer formalen Sprache entweder „V1a“ (lies: “Anna ist verheiratet“) oder als „∃y V2ay“ (lies: „Es gibt ein y sodass: Anna ist mit y verheiratet“) dargestellt werden. In diesem Sinne gibt es für Satz (7) drei mögliche Interpretationen bzw. Übersetzungen in eine formale Sprache, etwa die klassische Logik mit Identität.
(7a) V1a ∧ V1b
(7b) ∃x∃y (V2ax ∧ V2by ∧ a=y ∧ b=x)
(7c) ∃x∃y (V2ax ∧ ∃yV2by ∧ ¬(a=y) ∧ ¬(b=x))
Diese drei Interpretationen sind nicht gleichbedeutend. Satz (7a) behauptet sowohl von Anna als auch von Bruno, dass jeder von ihnen verheiratet ist, lässt aber offen, ob sie miteinander verheiratet sind oder nicht. Den Satz (7b) kann man zu „V2ab“ vereinfachen, er besagt, dass Anna und Bruno miteinander verheiratet sind. Satz (7c) behauptet, dass Anna mit einem Individuum x verheiratet ist und Bruno mit einem Individuum y und, dass es sich bei diesen Individuen nicht um Anna und Bruno handelt, dass sie also nicht miteinander verheiratet sind. Die Sätze (7a), (7b) und (7c) explizieren die logische Mehrdeutigkeit des Satzes (7).
Auch wenn die grammatikalische Struktur der Sätze (7) und (8) ähnlich ist, ist ihre logische Struktur völlig verschieden. Zum einen scheint es mir keine adäquate Formalisierung des Satzes (8) zu geben, die ein zweistelliges Prädikat einschließt. Ich glaube, dass die beste Formalisierung des Satzes (8) mithilfe des zeitlogischen Operators „P“ (lies: „Es war der Fall, dass:“) gelingt.
(8a) P (L1a ∧ L1b)
(8b) P (L1a ∧ P L1b)
Beide Formalisierungen (8a) und (8b) sind adäquate Entsprechungen des natürlichsprachlichen Satzes (8). Der Satz (8a) (lies: “Es war der Fall, dass: Anna geht weg und Bruno geht weg“) behauptet, dass in der Vergangenheit einmal der Fall war, dass Anna und Bruno gemeinsam bzw. gleichzeitig weggegangen sind. Nach Satz (8b) (lies: “Es war der Fall, dass: Anna geht weg und es war der Fall, dass: Bruno geht weg“) ist es so, dass Brunos Weggehen zeitlich vor dem Weggehen von Anna liegt, sie sind also mit Sicherheit nicht gemeinsam weggegangen. Satz (8CR) ist zwischen diesen beiden Bedeutungen logisch mehrdeutig. Auch bei diesem Satz entsteht die Mehrdeutigkeit durch die Konjunktion zweier Sätze, ein Satz wie „Anna geht weg“ oder „Anna ging weg“ ist eindeutig.
Aufgrund der strukturellen Analyse lautet meine Konklusion daher, dass die beiden Sätze (7) und (8) mehrdeutig sind, der Conjunction Reduction Test erkennt diese Mehrdeutigkeit nicht immer korrekt bzw. ein entsprechendes Ergebnis hängt jedenfalls davon ab, wie man den Test anwendet, also ob (9) und (10) als merkwürdig klingend empfunden werden oder nicht.
Auch eine andere Art von Items, nämlich Metaphern, werden häufig als ein Problem für den Conjunction Reduction Test angeführt., Nach der sprachphilosophischen Standardauffassung sind metaphorische und andere nicht wörtliche Äußerungen nicht mehrdeutig, dagegen würde der Conjunction Reduction Test metaphorische Ausdrücke als mehrdeutig auszeichnen.
(11) Korsika ist eine Insel.
(12) Kein Mensch ist eine Insel.
(13) Korsika aber kein Mensch ist eine Insel.
Im Satz (11) wird „Insel“ wörtlich gebraucht, während das Wort im Satz (12) in einer Metapher vorkommt. Der reduzierte Satz (13) klingt zweifellos merkwürdig, wäre also als mehrdeutig anzusehen. Viele Philosophen wehren sich dagegen, Metaphern als eine Art der Mehrdeutigkeit zu sehen, da dies eine starke Zunahme an mehrdeutigen Ausdrücken in den natürlichen Sprachen bedeuten würde; es wäre eine inflationäre Anwendung des Begriffs der Mehrdeutigkeit. Ockhams Rasiermesser ist zweifellos ein nützliches Werkzeug, aber es ist für sich allein genommen kein Argument und nur weil die Anerkennung von Metaphern eine Zunahme von Mehrdeutigkeiten in der Sprache bedeuten würde, heißt das nicht, dass Metaphern nicht mehrdeutig sind. Ich vermute, dass die Ablehnung der metaphorischen Mehrdeutigkeit darin begründet liegt, dass viele Philosophen primär an semantische und syntaktische Mehrdeutigkeit denken, wenn sie Metaphern beurteilen. Satz (12) ist weder semantisch noch syntaktisch mehrdeutig, möglicherweise aber in anderer Weise. Ich neige zur Ansicht, dass der Conjunction Reduction Test im Fall der Metaphern das korrekte Ergebnis anzeigt.
Test auf Unterschiedliche semantische Strukturen
Einige Arten der Mehrdeutigkeit kommen insofern zum Vorschein, als man in bestimmten Satzteilen oder Sätzen unterschiedliche semantische Strukturen wiedererkennen kann. Ein Beispiel dafür ist der homophone Satz „DER GEFANGENE FLOH“. In diesem einfachen Satz kann „GEFANGENE“ entweder als maskulines Substantiv im Nominativ oder als Adjektiv im Nominativ Maskulinum interpretiert werden und „FLOH“ entweder als Verb im Imperfekt oder als maskulines Substantiv im Nominativ. Die desambiguierten Terme „der gefangene Floh“ und „der Gefangene floh“ weisen eine unterschiedliche grammatikalische und auch logische Struktur auf, während man ersteres etwa als Prädikation „G1f“ (lies: „der Floh f prädiziert die Eigenschaft Gefangen-zu-sein“) verstehen kann gibt man letzteres am besten durch den zeitlogischen Satz „P F1g“ (lies: „Es war der Fall, dass: Der Gefangene g ist fliehend“) wieder. Logisch gesehen ist der Satz also entweder eine gegenwärtige Prädikation oder eine Prädikation über einen vergangenen Zustand, wobei die Formalisierung sehr deutlich macht, dass der Satz von unterschiedlichen Individuen bzw. Eigenschaften handelt, und dass keine auch noch so wohlwollende Interpretation zum Ergebnis kommen kann, dass sich die beiden Interpretationen als die Bereinigung von Unbestimmtheiten im ursprünglichen Satz herausstellen könnten.
Im Gegensatz zur Mehrdeutigkeit lassen Vagheit und Unbestimmtheit die semantische Struktur von Sätzen unverändert. Auf diesen Unterschied kann man einen Mehrdeutigkeitstest bauen, und zwar indem man ganz einfach überprüft, ob zwei Interpretationen von Sätzen bzw. Satzteilen unterschiedliche semantische Strukturen zutage treten lassen.
(14) Sandra kaufte den Laden leer.
Die eine Interpretation des Satzes (14) fasst dessen zweites und dessen letztes Wort als das zusammengehörige Verb „leerkaufen“ auf, während die andere Interpretation „leer“ als Adjektiv wiedererkennt, welches den Zustand des Ladens zum Zeitpunkt des Erwerbs durch Sandra näher beschreibt. Sprachwissenschafter verwenden beispielsweise Phrasenstrukturbäume der generativen Grammatik, um die semantische Struktur eines Satzes sichtbar zu machen.
Der erste Phrasenstrukturbaum zerlegt den Satz (S) in die Nominalphrase NP1, die aus dem Nomen N1, dem Subjekt des Satzes „Sandra“, besteht, und in eine Verbalphrase VP1. Diese Verbalphrase VP1 wiederum besteht aus dem Verb „kaufte“ und einer Determinansphrase DP1; in letzterer enthalten ist der Determinans Det, der Artikel „den“, sowie eine weitere Nominalphrase NP2, bestehend aus den Nomen N2 und dem beschreibenden Adjektiv A „leer“. Die zweite Interpretation der Phrasenstruktur des Satzes (14) ist etwas einfacher; wesentlich ist lediglich, dass „leer“ hier kein Adjektiv, sondern Teil des Verbs V1 ist. Anhand der beiden graphischen Darstellungen wir unmittelbar klar, dass Satz (14) nicht eindeutig ist, sondern als zwei unterschiedliche semantische Strukturen gelesen werden kann.
Meiner Ansicht nach ist der Test auf unterschiedliche semantische Strukturen ein hinreichender Indikator für Mehrdeutigkeit, wenn also zwei Interpretationen eines Satzes semantisch unterschiedlich strukturiert sind, so ist das ein sicheres Zeichen für Mehrdeutigkeit, aber unterschiedliche Strukturen der Lesearten eines Satzes sind keine notwendigen Bedingungen für Mehrdeutigkeit. Der Satz „Bruno geht zur Bank“ ist kein Gegenbeispiel für diesen Test, er zeigt aber diese Einschränkung, da dieser mehrdeutige Satz dieselbe semantische Struktur aufweist, egal ob „Bank“ hier in der Bedeutung „Geldinstitut“ oder in der Bedeutung „Sitzgelegenheit“ vorkommt. Auch wenn man die polysemen Bedeutungen von „Bank“, also „das Gebäude, in dem sich die Bank befindet“ und „das Unternehmen Bank“, betrachtet, spricht dieser Test nicht an. Wenn die Mehrdeutigkeit eines Satzes in der Mehrdeutigkeit eines seiner Wörter begründet liegt und die Mehrdeutigkeit auf die höhere Ebene übertragen wird, ändert sich die semantische Struktur des Satzes nicht. Hierbei sieht man, dass man den Test auf unterschiedliche semantische Strukturen sinnvollerwiese nur auf Sätze und Satzteile anwenden kann: der Test auf unterschiedliche semantische Strukturen erkennt strukturelle Mehrdeutigkeit.
Widerspruchstest
Ein anderer Aspekt, in dem sich mehrdeutige von vagen und unbestimmten Items normalerweise unterscheiden, ist, dass die Möglichkeiten der Interpretation bei mehrdeutigen Items weiter auseinanderliegen; vorsichtig formuliert. Das ist keine Notwendigkeit und doch kann dieser Unterschied dazu verwendet werden, bestimmte Fälle von Mehrdeutigkeit, Vagheit und Unbestimmtheit auseinanderzuhalten. Ein Satz der Art „(P ∧ ¬P)“ ist ein eklatanter Widerspruch und in den formalen Sprachen ist man sehr darauf bedacht, dass (in diesem Fall) der Aussagebuchstabe „P“ innerhalb eines Arguments immer für genau dieselbe Aussage steht, um fehlerhaften Argumenten vorzubeugen. Ein Widerspruch in einem formalisierten Satz „(P ∧ ¬P)“ könnte vermieden werden, wenn es Bedeutungsunterschiede zwischen den beiden Vorkommen von „P“ gibt, wenn also verschiedene Sätze der natürlichen Sprache, die nicht gleichbedeutend bzw. logisch äquivalent sind, durch denselben Aussagebuchstaben wiedergegeben werden. Auf dieser Einsicht gründet sich der Widerspruchstest, denn in einem einzigen, (zumindest) der Form nach kontradiktorischen Satz sind Bedeutungsunterschiede leichter zu erkennen.
Der Satz „Die Bank Austria ist eine Bank, aber sie ist keine Bank“ scheint auf den ersten Blick ein eklatanter Widerspruch zu sein. Im Rahmen des Widerspruchstests stellt sich nun die Frage, ob es irgendwie möglich ist, diesen Satz so zu interpretieren, dass er nicht mehr widersprüchlich ist. Im konkreten Fall ist dies tatsächlich möglich, denn „Bank“ ist mehrdeutig und die beiden Bedeutungen des Items verhindern einen Widerspruch in diesem der Form nach widersprüchlichem Satz. Die widerspruchsfreie Interpretation erhält man, wenn man den Satz als „Die Bank Austria ist ein Geldinstitut, aber sie ist keine Sitzgelegenheit“ liest. Das Ergebnis des Widerspruchstests ist demnach, dass das Item „Bank“ mehrdeutig ist. Es wird hingegen kaum möglich sein, den Satz „Meine Tante Anna ist keine Tante“ vor einem Widerspruch zu retten, das Item „Tante“ ist demnach nicht mehrdeutig, es wird aber keine Aussage darüber getroffen, ob es nun vage oder unbestimmt ist.
Wenn Quine sagt, dass mehrdeutige Termini auf einen Gegenstand offenkundig zutreffen und gleichzeitig offenkundig nicht zutreffen können, wie „leicht“ auf „Buch“, so ist das nichts anderes als die Anwendung des Widerspruchtests in zwei Schritten. Auch Bücher mit geringem Gewicht können schwer zu verstehen sein; ein der Form nach widersprüchlicher Satz wie „Der Tractatus logico-philosophicus ist leicht und nicht leicht“ hat eine widerspruchsfreie Interpretation, womit „leicht“ dem Widerspruchstest nach zu urteilen mehrdeutig wäre. In Sätzen mit allgemeinen oder unbestimmten Items können diese nicht gleichzeitig wahrheitsgemäß behauptet und verneint werden.
Der Widerspruchstest liefert nicht immer ein Ergebnis, das mit unseren Intuitionen bzw. der vorherrschenden Meinung bezüglich Mehrdeutigkeit übereinstimmt. In dieser Hinsicht problematisch ist erneut die metaphorische Mehrdeutigkeit.
(15) ein gelber Zwerg
(15a) Die Sonne ist ein gelber Zwerg [Hauptreihenstern der Spektralklasse G im Zentrum unseres Sonnensystems], aber sie ist kein gelber Zwerg [ein mythologisches Wesen mit gelbem Hut].
Mithilfe des Widerspruchtests soll nun überprüft werden, ob das Item „ein gelber Zwerg“ mehrdeutig ist. Der Satz (15a) scheint auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein, aber mit der zusätzlichen Erklärung in eckigen Klammern löst sich der Widerspruch auf; demnach wäre „ein gelber Zwerg“ dem Test zufolge mehrdeutig. Die Tatsache, dass der Widerspruchstest metaphorisch mehrdeutige Items als mehrdeutig klassifiziert wird auch als Argument gegen die Adäquatheit des Tests gesehen. Wie schon zuvor sollte hier der Hinweis reichen, dass metaphorische Mehrdeutigkeit natürlich nicht das ist, was man klassischerweise als Mehrdeutigkeit angesehen hat, aber sie ähnelt den anderen Arten der Mehrdeutigkeit doch genügend, um sie als dasselbe Phänomen zu identifizieren. Meiner Ansicht nach kommt der Widerspruchstest im Fall von (15) zum richtigen Ergebnis, die metaphorische Mehrdeutigkeit ist eine Art der Mehrdeutigkeit.
Die zweite Art von Items, bei denen der Widerspruchstest unbestrittenermaßen nicht funktioniert, sind die Farbwörter wie „rot“, „blau“, „grün“ etc., also paradigmatische Beispiele für Vagheit. Simpson merkt an, dass Quine vage Ausdücke seinem eigenen Kriterium zufolge als mehrdeutig ansehen müsste. Auch bei anderen vagen und unbestimmten Ausdrücken kann der Widerspruchstest zum intuitiv und standardauffassungsgemäß inkorrekten Ergebnis kommen.
(16) Der Tisch ist grün.
(16a) Dieser grüne [lindgrüne] Tisch ist nicht grün [smaragdgrün].
Wie steht es um die Mehrdeutigkeit von Item (16) bzw. dem darin enthaltenen „grün“? In (16a) wird zunächst der Form halber ein Widerspruch konstruiert, man sieht aber sogleich, dass eine widerspruchsfreie Interpretation des Satzes möglich ist, nämlich indem man die beiden Vorkommnisse von „grün“ als „lindgrün“ bzw. als „smaragdgrün“ liest. Der Satz (16a) hat eine widerspruchsfreie Interpretation, das Urteil des Widerspruchstests lautet demnach, dass „grün“ mehrdeutig ist. Wie das endgültige Urteil über den Widerspruchstest aussieht, hängt wohl davon ab, welche Interpretationen man bereit ist zuzulassen.
Die Grenzen des Widerspruchstests zeigen sich bei Tautologien und Kontradiktionen sowie bei Fragen oder Befehlen, und zwar deshalb, da sich der Wahrheitswert von Tautologien und Kontradiktionen durch eine Interpretation nicht ändert und da Fragen und Befehle keinen Wahrheitswert haben. Auch mit kontextsensitiven Ausdrücken hat der Widerspruchstest Schwierigkeiten, denn in einem der Form nach widersprüchlichem Satz kann sich ein zweimal vorkommender indexikalischer Ausdruck auf zwei verschiedene Gegenstände beziehen bzw. zwei verschiedene Bedeutungen haben. Diese ist eine definitorische Charakteristik von indexikalischen Ausdrücken, eine Folge davon ist allerdings, dass der Satz „Bruno ist groß, aber Bruno ist nicht groß“ eine widerspruchsfreie Interpretation hat, nämlich etwa dann, wenn Bruno zwar groß für einen europäischen Braunbären ist, aber nicht groß für einen Braunbären im Allgemeinen. Das Vorhandensein einer widerspruchsfreien Interpretation weist darauf hin, dass das kontextsensitive Item „groß“ als mehrdeutig klassifiziert werden müsste.
Substitutionstest
Für die meisten Wörter der natürlichen Sprachen ist es relativ einfach, Synonyme zu finden. Bekannte Synonyme für „Geld“ sind etwa „Marie“, „Mäuse“ oder „Moneten“, ein anderes und naheliegendes Beispiel sind „Mehrdeutigkeit“ und „Ambiguität“, zwei Wörter, die ich in dieser Untersuchung synonym verwende. Synonyme gehören oft verschieden Sprachebenen an, sie haben unterschiedliche Konnotationen aber im Großen und Ganzen verändert sich die Bedeutung eines Satzes nicht, wenn man ein Wort durch sein Synonym ersetzt. Ob ich sage „Ich habe kein Geld“ oder „Ich habe keine Mäuse“ ist bis auf die saloppe Formulierung im zweiten Fall unerheblich, eine Substitution salva veritate ist in durchsichtigen Kontexten möglich. Die Tatsache, dass die Bedeutung eines Satzes bei einer Substitution von Synonymen erhalten bleibt, kann man sich für einen Mehrdeutigkeitstest zu Nutze machen. Die Intuition hinter diesem Substitutionstest ist, dass sich die Bedeutung eines Satzes nicht groß ändert, wenn man ein Wort durch ein synonymes oder sinnverwandtes Wort ersetzt, außer natürlich, wenn es sich um ein mehrdeutiges Wort handelt. Bei der Anwendung dieses Tests ist Vorsicht geboten, denn der Grund dafür, dass sich die Bedeutung des Satzes nicht ändert, kann ebenso darauf zurückzuführen sein, dass man das zu testende Item (hier: Wort) durch das falsche Synonym ersetzt hat.
(17) Die Woche hat gut begonnen.
(17a) Die Woche hat gut angefangen.
(18) Die Mäuse haben den Käse gefressen.
(18a) Das Geld hat den Käse gefressen.
Im Satz (17) ersetzt man „beginnen“ durch das Synonym „anfangen“ und erhält den Satz (17a). Da die beiden Sätze gleichbedeutend sind, lautet das vorläufige Ergebnis des Substitutionstests, dass „begonnen“ im Satz (17) nicht mehrdeutig ist. Anders im Satz (18), in welchem man das Wort „Mäuse“ durch eines seiner Synonyme ersetzt, um zum Satz (18a) zu gelangen. Die beiden Sätze (18) und (18a) sind nicht gleichbedeutend. Es kann beispielweise sein, dass der Satz (18) wahr ist, nämlich dann wenn man „Mäuse“ in der Bedeutung „Mus musculus“ liest und die Mäuse den Käse tatsächlich gefressen haben. Hingegen ist der Satz (18a) immer falsch, da Geld niemals Käse fressen kann, möglicherweise ist Satz (18a) sogar sinnlos. Der Substitutionstest identifiziert „Mäuse“ demnach als mehrdeutig.
Eine Schwierigkeit des Substitutionstests ist, dass er erstens nur auf Wörter angewandt werden kann. Zweitens, wenn eine Ersetzung ohne relevante Bedeutungsveränderung gelingt, dann heißt das nicht, dass das ersetze Wort nicht mehrdeutig ist, sondern nur, dass man bisher keinen Hinweis auf die Mehrdeutigkeit dieses Wortes gefunden hat. Es kann natürlich sein, dass man in Zukunft eine Substitution findet, die einen Hinweis auf die Mehrdeutigkeit des betreffenden Wortes liefert. Der Substitutionstest liefert also nur dann ein definitives Ergebnis, wenn er Mehrdeutigkeit diagnostiziert. In gewisser Weise ist der Substitutionstest auch zirkulär, denn um ein Synonym zu finden, muss man bereits eine oder mehrere Bedeutungen des zu testenden Wortes im Sinn haben. Wenn ich beabsichtige „Maus“ in der Bedeutung von „Eingabegerät am Computer“ zu verwenden und zu testen, werde ich „Geld“ oder „Mus musculus“ nicht als synonym ansehen.
Test des besonderen Verständnisses
Eine andere Idee für einen Mehrdeutigkeitstest beruht auf der Annahme, dass man durch zusätzliche Information eine der Interpretationen eines mehrdeutigen Items begünstigen kann. Der Test des besonderen Verständnisses geht davon aus, dass Mehrdeutigkeit semantische Überbestimmtheit ist und dass zusätzliche Information die Möglichkeit für nicht beabsichtigte Interpretationen eliminiert.
(19) der Geruch des Hundes
(19a) Der Geruch des Hundes ist gut ausgebildet.
(19b) Der Geruch des Hundes ist nicht auszuhalten.
Beispiel (19) ist zweifellos mehrdeutig, dem Eintrag im Duden nach hat „Geruch“ zwei polyseme Bedeutungen. Ein Sprecher könnte Item (19) in einem Satz verwenden und sagen wollen, dass der Hund einen guten Geruchssinn hat, wie in (19a) aufgelöst, oder dass der Hund einen unangenehmen Geruch verbreitet, wie der Satz (19b) zu verstehen gibt. Diese Information fehlt in (19), weshalb „Geruch“ sich auf zweierlei beziehen kann. Wenn man einen solcherart mehrdeutigen Satz testen will, so fügt man Information zu Satz hinzu, die einer der beiden Lesearten herausfiltern soll, die jeweils andere Leseart ist danach nicht mehr möglich. Am Beispiel (19) sieht man, dass der Test des besonderen Verständnisses funktioniert, „der Geruch des Hundes“ ist mehrdeutig, was auch intuitiv nachvollziehbar ist. Der Test des besonderen Verständnisses ist allerdings nicht unfehlbar, auch Beispiel (20) wäre nach diesem Test mehrdeutig.
(20) Dora hatte einen Pullover an.
Den Satz (20) kann man im Sinne des Tests des besonderen Verständnisses mit einem Adjektiv ergänzen, das Doras Pullover näher beschreibt, etwa „grün“ oder „blau“.
(20a) Dora hatte einen grünen Pullover an.
(20b) Dora hatte einen blauen Pullover an.
Das Item „Pullover“ wäre also zumindest zwischen den Lesearten „blauer Pullover“ und „grüner Pullover“ mehrdeutig, vermutlich ließen sich durch erneute Anwendung des Tests noch weitere Lesearten finden. Ich glaube aber nicht, dass (20) mehrdeutig ist und dass die Sätze (20a) und (20b) zwei mögliche Bedeutungen explizit darstellen, der Satz (20) scheint mir vielmehr unbestimmt zu sein. Abgesehen davon, dass andere Mehrdeutigkeitstests dieses Ergebnis nicht bestätigen, kann man sich auch intuitiv klarmachen, dass (20) nicht mehrdeutig ist. Angenommen Dora ist eine Figur in einem Schwarzweißfilm, ich möchte etwas über ihre Kleidung sagen, darüber was sie genau trug und verwende dazu Satz (20). Ich sage überhaupt nichts in Bezug auf die Farbe des Pullovers, die in diesem Szenario nicht kennen kann, genauso wie ich nichts über das Material des Pullovers oder dessen Schnitt sage. Das könnte ich zwar tun, aber mit (20) bleibt es bei der Möglichkeit. Diese Punkte – Farbe, Material, Schnitt – bleiben offen, das heißt, dass der Satz (20) in dieser Hinsicht unbestimmt ist. Die Konklusion kann nur sein, dass der Mehrdeutigkeitstest im Fall von (20) ein falsches Ergebnis liefert, der Mehrdeutigkeitstest des besonderen Verständnisses ist demnach ein relativ schwacher Indikator für Mehrdeutigkeit, wie sich auch anhand anderer Beispiele leicht zeigen lässt.
Reichweitenunterscheidungstest
Eine disjunktive Bedeutung ist nicht dasselbe wie eine Disjunktion von Bedeutungen. Im Ambiguity vs. Generality: Removal of a Logical Confusion betitelten Aufsatz behauptet Roberts, dass Mehrdeutigkeit und Allgemeinheit oftmals verwechselt werden, und dass dies darauf zurückzuführen ist, dass die unterschiedliche Reichweite von Disjunktionen, die die Bedeutungen von mehrdeutige bzw. allgemeine Items enthalten, unbemerkt bleibt: „Basic to this confusion is a failure to notice a difference in the scopes of disjunctions involved in ambiguity and generality.“ Konkret, für Roberts liegt Allgemeinheit beim Genus proximum vor, welches allgemein in Bezug auf die in der Hierarchie untergeordneten Begriffe ist, die sich untereinander durch eine Differentia specifica unterscheiden. So wäre etwa „Königin“ insofern allgemein, als sowohl die Herrscherin eines Landes als auch die Frau eines Königs „Königin“ genannt werden; die beiden Lesearten wären hinsichtlich des Überbegriffs „Königin“ bzw. „inthronisierte Frau“ allgemein. Dagegen wäre „Bastard“ mehrdeutig, da man für „minderwertige Person“ und „uneheliches Kind“ kaum einen gemeinsamen Überbegriff finden wird. Sowohl mehrdeutige als auch allgemeine Items schließen zwei Bedeutungen bzw. Interpretationen φ und ψ in sich ein. Während aber ein allgemeines Item in jedem Kontext die Bedeutung (φ oder ψ) hat, hat ein mehrdeutiges Item in einem Kontext die Bedeutung φ und in einem anderen Kontext die Bedeutung ψ. Es ist eine Frage der Sprachkenntnis, wie individuelle Sprecher die disjunktive Bedeutung von Items beurteilen, das heißt ob sie in der Lage sind, eine gemeinsame Bedeutung zu finden oder nicht.
Der entscheidende Punkt ist demnach, ob die unterschiedlichen Lesearten eines Items einander ausreichend ähnlich sind bzw. ob beide Lesearten eine wesentliche gemeinsame Eigenschaft enthalten, die es erlauben würde, die beiden Interpretationen einem allgemeinen Begriff unterzuordnen. Auf der Basis dieser Frage entwickelt Roberts den Reichweitenunterscheidungstest (engl. Scope Distinction Test). Dieser Mehrdeutigkeitstest überprüft, ob die verschiedenen Bedeutungen eines Terms T in allen Kontexten miteinander verträglich sind oder nicht. In meiner Terminologie dient der Reichweitenunterscheidungstest im Grunde dazu, eine spezielle Art der Mehrdeutigkeit – lexikalische Mehrdeutigkeit – von einer speziellen Art der Unbestimmtheit – Allgemeinheit – zu unterscheiden. Roberts Reichweitenunterscheidungstest besteht aus den folgenden zwei Schritten (i) und (ii):
- Man stelle den Satz „a ist T“ in verschiedene Kontexte, welche die verschiedenen Bedeutungen von „T“ erzwingen.
- Man überprüft, ob in einem Kontext „a ist φ“ und in einem anderen Kontext „a ist ψ“ äquivalent zu „a ist T“ ist oder nicht. Wenn dies der Fall ist, dann ist T mehrdeutig. Wenn aber in allen Kontexten „a ist (φ oder ψ)“ äquivalent zu „a ist T“ ist, dann ist T allgemein und nicht mehrdeutig.
Dieser Test funktioniert im Fall des zuvor genannten Items „Bastard“ bzw. „John Smith ist ein Bastard“. Man könnte sich einen Kontext vorstellen, der John Smiths’ moralisch verwerfliche Taten zum Gegenstand hat und einen zweiten Kontext, der John Smiths’ Familienverhältnisse thematisiert. In jedem der Kontexte hat „Bastard“ entweder die Bedeutung „minderwertige Person“ oder die Bedeutung „uneheliches Kind“, in keinem Kontext hat „Bastard“ die Bedeutung „minderwertige Person oder uneheliches Kind“, weshalb „Bastard“ mehrdeutig ist.
Roberts verwendet den Reichweitenunterscheidungstest, um dafür zu argumentieren, dass „Königin“ allgemein ist, wozu er die beiden folgenden Kontexte skizziert:
(21) Jane wollte schon immer politische Macht über Menschen ausüben. Jetzt, wo sie Königin von Slobovia ist, ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen.
(22) Doris hat sich nie für politische Macht interessiert, wohl aber für Pomp und Zeremonie. Daher wird sie es sicherlich genießen, Königin zu sein, jetzt, nachdem sie König Bill geheiratet hat.
In Kontext (21) kommt „Königin“ in der Bedeutung „Herrscherin eines Landes“ vor, in Kontext (22) in der Bedeutung „Frau eines Königs“. Roberts’ Ansicht nach hat „Königin“ aber in beiden Kontexten dieselbe Bedeutung, und zwar „inthronisierte Frau“, da es die beiden Bedeutungen „Königin mit politischer Macht“ und „Königin ohne politische Macht“ nicht gibt. Daher wäre „Königin“ allgemein und nicht mehrdeutig. Unabhängig davon, ob „Königin“ nun tatsächlich allgemein oder mehrdeutig ist, kann ich diese Argumentation nicht nachvollziehen und ich würde die Kontexte (21) und (22) eher als geeignet dafür ansehen, mithilfe des Reichweitenunterscheidungstest die Mehrdeutigkeit von „Königin“ zu begründen, da im Rahmen des Tests genauso wie bei „Bastard“ zwei Kontexte skizziert werden, in denen jeweils nur die eine nicht aber die andere Bedeutung von „Königin“ gemeint sein kann. Der Unterschied zu „Bastard“ ist bloß, dass der allgemeinere Begriff „inthronisierte Frau“ bekannt ist, nur dieser Umstand fließt nicht in den Mehrdeutigkeitstest mit ein.
Eine Einschränkung des Reichweitenunterscheidungstests, die auch Roberts erwähnt, ist, dass diesem nur Sätze der Form „a ist T“ unterzogen werden können. Das Ergebnis ist auch, dass der ganze Satz „a ist T“ mehrdeutig ist, also beispielsweise „Die Bank ist zusammengebrochen“, und nicht nur „T“ bzw. „Bank“, da man nicht sagen kann, welchen Beitrag der restliche Teil des Satzes , also „ist zusammengebrochen“ zu dessen Mehrdeutigkeit beiträgt. Beim konkreten Beispiel ist es nicht abwegig anzunehmen, dass auch „zusammenbrechen“ mehrdeutig ist, da ein Finanzinstitut (als Unternehmen, nicht aber als Gebäude) in anderer Weise zusammenbricht als eine Sandbank in einem Fluss.
Auf der positiven Seite muss man verbuchen, dass Roberts’ Analyse von Allgemeinheit einen Unterschied zu mehrdeutigen Ausdrücken identifiziert. Der nächst höhere, gemeinsame Begriff ist bei mehrdeutigen Ausdrücken in der Regel semantisch weiter entfernt, dies wäre im Fall von „Bank“ [Sitzgelegenheit/Finanzinstitut] vermutlich „Gegenstand“. Ein weiterer Grund Roberts’ Reichweitenunterscheidungstest nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen, ist, dass er in einer Fußnote darauf hinweist, dass es ein Unterschied ist, ob eine disjunktive Bedeutung einen Satz wahr macht oder ob eine disjunktive Bedeutung im jeweiligen Kontext angemessen ist.
(23) Ich werde einen Hund kaufen.
Ich kann Satz (23) äußern, wenn ich einen (männlichen oder weiblichen) Hund als Haustier haben möchte oder wenn ich einen (männlichen) Hund für eine Zucht benötige. Beide Interpretationen von „Hund“ – Canis lupus familiaris/männlicher Canis lupus familiaris – würden Satz (23) in beiden Fällen wahr machen, ebenso die disjunktive Bedeutung „Canis lupus familiaris oder männlicher Canis lupus familiaris“. Wenn ich aber auf der Suche nach einem Hund für meine Zucht wäre, wäre nur eine Interpretation, beispielsweise „männlicher Canis lupus familiaris“ angemessen, wenn ich auf der Suche nach einem Rüden bin, nicht aber „Canis lupus familiaris“ oder die disjunktive Bedeutung. Der wesentliche Punkt ist, dass zwar verschiedene Interpretationen eines Items einen Satz wahr machen können, dass die Frage nach der Angemessenheit seiner Interpretation aber davon unabhängig zu stellen ist. Roberts gelangt im Übrigen zur Konklusion, dass „Hund“ mehrdeutig ist.
Mehrdeutigkeitstest für bestimmte Beschreibungen
Der Kontext für den folgenden Test ist Donnellans Ansicht, dass beispielsweise die bestimmte Beschreibung „der Mörder von Smith“ in Satz (24) mehrdeutig zwischen einem attributiven Gebrauch und einem referentiellen Gebrauch ist., Beim attributiven Gebrauch geht es darum, demjenigen Gegenstand, der die Kennzeichnung wahrheitsgemäß erfüllt, eine Eigenschaft zuzuschreiben, also dem Gegenstand, der tatsächlich der Mörder von Smith ist die Eigenschaft geisteskrank-zu-sein. Beim referentiellen Gebrauch muss der Gegenstand, von dem gesprochen wird, nicht die in der Kennzeichnung genannten Bedingungen erfüllen, nur der Sprecher muss zum Zeitpunkt der Äußerung glauben, dass er sie erfüllt; die Kennzeichnung dient lediglich dazu, die Referenz zu fixieren, um dann eine Eigenschaft prädizieren zu können.
(24) Der Mörder von Smith [wer auch immer der Mörder von Smith ist/diese Person, von der ich glaube, dass sie der Mörder von Smith ist] ist geisteskrank.
Die Mehrdeutigkeit von (24) wird nicht allgemein akzeptiert, im Gegenteil, viele Philosophen behandeln die referentielle Leseart lieber als pragmatische Charakteristik des Satzes, womit die Frage nach der Ambiguität wegzufallen scheint. Kripkes Mehrdeutigkeitstest für bestimmte Beschreibungen gelingt es zu zeigen, dass Satz (24) nicht semantisch mehrdeutig ist. Auch Sennet wendet den semantischen Conjunction Reduction Test erfolgreich auf Item (24) an, obwohl er zuvor zu Recht kritisiert, dass Kripke Donnellans Unterscheidung als semantische Unterscheidung behandelt. Meiner Ansicht nach ist Satz (24), wenn er tatsächlich mehrdeutig sein sollte, nicht semantisch oder syntaktisch mehrdeutig. In diesem Punkt liegen Kripke und die sprachphilosophische Standardauffassung richtig, sie irren aber insofern als übersehen wird, dass hier eine Mehrdeutigkeit der Referenz vorliegt.
Kripkes Mehrdeutigkeitstest ähnelt einem Gedankenexperiment, er hat einen sehr speziellen Anwendungsbereich und ist für sich genommen erwähnenswert, auch wenn seine Anwendung auf Satz (24) aus genannten Gründen sein Ziel verfehlen muss. In einem natürlichsprachlichem Gespräch bleibt für den Rezipienten einer Äußerung bisweilen offen, auf welchen Gegenstand eine bestimmte Beschreibung referiert, nämlich beispielsweise dann, wenn sich der Sprecher irrt und die „falsche“ Kennzeichnung verwendet oder wenn es mehrere Referenten gibt, welche die in der Kennzeichnung genannten Eigenschaften haben; bestimmte Beschreibungen natürlicher Sprachen sind in dieser Hinsicht nicht klar. „Der Mörder von Smith“ in Item (24) ist dazu geeignet, entweder auf eine bekannte Person (referentieller Gebrauch) oder auf eine Person mit bekannten Eigenschaften (attributiver Gebrauch) zu referieren. Dieses sprachliche Phänomen soll analysiert werden.
Wenn irgend jemand behauptet, daß ein bestimmtes sprachliches Phänomen im Englischen ein Gegenbeispiel gegen eine gegebene Analyse ist, erwäge man eine hypothetische Sprache, die dem Englischen (so weit wie möglich) gleicht, außer daß die Analyse als richtig festgesetzt wird. Man stelle sich vor, eine derartige hypothetische Sprache würde in einer Gemeinschaft eingeführt und von ihr gesprochen. Wenn das fragliche Phänomen auch in einer Gemeinschaft auftreten würde, die eine solche hypothetische Sprache spräche (die nicht Englisch sein mag), dann kann die Tatsache, daß es im Englischen auftritt, nicht die Hypothese widerlegen, daß die Analyse für das Englische richtig ist.
Für das konkrete Beispiel heißt das, dass es zwei konkurrierende Analysen A1 und A2 für das sprachliche Phänomen P des referentiellen Gebrauchs von Kennzeichnungen in der natürlichen Sprache L1 (Englisch im Originaltext bzw. Deutsch) gibt. Wenn Donnellans Analyse (A1) korrekt ist, dann sind Kennzeichnungen mehrdeutig. Kripkes Analyse (A2) sieht Kennzeichnungen als semantisch eindeutig an. Das Gedankenexperiment Kripkes besteht in der Annahme einer natürlichen Sprache L2, die genauso ist, wie die natürliche Sprache L1, in deren Semantik aber bestimmte Beschreibungen eindeutig sind, das heißt, dass die Analyse A2 als korrekt gesetzt wird. Kripkes plausible These ist nun, dass wenn das Phänomen P in L2 weiterhin auftritt, dann ist P kein Grund für die Annahme, dass A2 in L1 falsch ist. Tatsächlich ist es so, dass es auch in Kripkes hypothetischer Sprache L2 möglich ist, dass sich ein Sprecher hinsichtlich der Eigenschaften eines Gegenstandes irren und eine falsche Kennzeichnung verwenden kann; das sprachliche Phänomen P tritt also weiterhin auf. Kripkes Mehrdeutigkeitstest liefert somit ein Indiz dafür, dass Kennzeichnungen nicht semantisch mehrdeutig sind.