10. Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie „Mensch sein – Fundament, Imperativ oder Floskel?“, 4. bis 6. Juni 2015 | Universität Innsbruck
Wenn Physiker davon sprechen, dass sich unsere Sonne eines entfernten Tages in einen roten Riesen und noch viel später in einen weißen Zwerg verwandeln wird, oder davon, dass sich Elementarteilchen auf allen möglichen Wegen gleichzeitig von einem Punkt A zu einem Punkt B bewegen, kommt man schwerlich umhin, nach der Quintessenz dieser und ähnlicher Aussagen zu fragen. Auch wenn Psychologen leger erklären, dass Erinnerungen im Gehirn gespeichert werden, so möchte man wissen, was gemeint ist. Eine erste und natürlich erscheinende Möglichkeit bestünde darin, diese Aussagen wörtlich zu verstehen, womit sich eine ganze Reihe an weiterführenden Fragen ergeben würde: Wie kann es sein, dass sich bestimmte Gegenstände zur selben Zeit an zwei verschiedenen Orten aufhalten? Können Informationen auf biologischem Material gespeichert werden werden wie Mais in einem Speicher oder wie Daten auf einer Festplatte? Die zweite Möglichkeit, die mir viel mehr zu versprechen scheint, besteht darin, danach zu suchen, was Physiker oder Psychologen eigentlich sagen wollen, ihnen also gewissermaßen zu unterstellen, dass sie sich in vereinfachender und irreführender Weise ausdrücken. Damit entsteht konkret die Aufgabe, zu erklären, wie die zuvor genannten Sätze interpretiert werden können.
Ich möchte vorschlagen, die genannten Aussagen metaphorisch zu verstehen. Physiker sprechen zwar nicht von der Schwarzes-Loch-Metapher und auch Chemiker sprechen nicht von der Kohlenwasserstoffketten-Metapher, doch immerhin sprechen Psychologen von der Computer-Metapher. Auch in der Wissenschaftstheorie wird die Auffassung vertreten, dass einige naturwissenschaftliche Beschreibungen metaphorisch zu verstehen sind. Diese Metaphern spielen sowohl bei der Entstehung von Theorien als auch bei ihrer Verbreitung eine wichtige Rolle. Ausgangspunkt einer Diskussion kann die Tatsache sein, dass natürliche Sprache mit metaphorischen Ausdrücken durchsetzt ist, eine ausschließlich wörtliche Redeweise wäre kaum vorstellbar; und wir verstehen die metaphorische Ausdrucksweise im Allgemeinen. Daran anknüpfen muss man sich die Frage stellen, warum wir Metaphern auch bei der Formulierung von wissenschaftlichen Theorien verwenden. Leistet die Metapher einen Beitrag zum Erkenntnisprozess, der durch eine vorwiegend wörtliche Ausdrucksweise nicht oder nur mit erheblich größerem Aufwand erreicht werden könnte? Warum nimmt die Metapher bei der Formulierung wissenschaftlicher Theorien eine zentrale Stellung ein?
Ein zweiter Blick macht sichtbar, dass in wissenschaftlichen Theorien zwei Arten von Metaphern verwendet werden: theoriekonstituierenden Metaphern und nicht-theoriekonstituierenden Metaphern. Eine nicht-theoriekonstituierende Metapher kann vollständig eliminiert werden, d. h. das, was durch die Metapher zum Ausdruck gebracht wird, kann auch wörtlich gesagt werden. Wenn jemand von Kraftfeldern spricht, so denkt er dabei an Dinge, die mit Maisfeldern nur eine entfernte Ähnlichkeit aufweisen. Die Metapher dient dazu, die Theorie anschaulich vorstellbar zu machen. Auf eine theoriekonstituierende Metapher kann nicht verzichtet werden, sie ist ein integrativer Bestandteil einer wissenschaftlichen Theorie. Der Kerngedanke der Computer-Metapher, nämlich dass das menschliche Gehirn ein informationsverarbeitender Mechanismus ist, kann nicht in wörtlicher Weise formuliert werden. In beiden Fällen scheint es mir gerechtfertigt zu sein, von erkenntnisleitenden Metaphern zu sprechen. Nicht-theoriekonstituierende Metaphern sind erkenntnisleitend, da sie einen überblicksartigen und schnellen Zugang zu einem neuen Gegenstandsbereich bieten. Theoriekonstituierende Metaphern sind in einem viel stärkeren Sinn erkenntnisleitend, sie der Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Erkenntnis.
10. Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie
„Erkenntnisleitende Metaphern“, in: Oberprantacher, Andreas et al. (Hgg.): Mensch sein – Fundament, Imperativ oder Floskel? Beiträge zum 10. Internationalen Kongress der Österrreichischen Gesellschaft für Philosophie. Innsbruck 2017, Innsbruck University Press. S. 669 –678.